Das Daumenkino ist keine neue Erfindung. Kindern damit die Gebärdensprache beizubringen, aber durchaus innovativ. Das ist die Idee hinter dem Social Start-up Talking Hands, das von den Frankfurterinnen Laura Mohn und Maria Möller gegründet wurde und sich für Inklusion stark macht. Beliebt sind die quadratischen, knapp zehn Zentimeter großen Daumenkinos sowohl bei Logopädie-Praxen als auch in Kitas. So beliebt, dass sie dafür vor etwa einem Monat den 1. Platz beim Frankfurter Gründerpreis belegt haben. Wieso nicht nur Kinder mit einer Behinderung die Daumenkinos nutzen können und wollen, erzählen uns die Gründerinnen im Interview.

Stellt Euch doch gerne kurz vor.

Maria Möller: Ich habe gemeinsam mit Laura Kommunikationsdesign in Frankfurt an der European School of Design studiert. Nach dem Studium habe ich in einer Werbeagentur in Berlin gearbeitet. Ungefähr ein Jahr nach dem Abschluss, also Mitte 2020, haben wir dann auch schon Talking Hands gegründet, wobei es erst 2021 so richtig los ging.

Laura Mohn: Genau, ich liebe es zu Zeichnen und zu Illustrieren und daher waren die Daumenkinos von Talking Hands mein Abschlussprojekt in der Uni. Als Thema habe ich mir das Down-Syndrom ausgesucht, denn das hat auch meine Schwester. Die Idee zu den jetzigen Daumenkinos ist also aus diesem Projekt entstanden. Vor unserer Gründung war ich auch in einer Berliner Werbeagentur.

 

Ihr wart also beide in Berlin nach dem Studium und habt dann doch in Frankfurt gegründet. Warum?

Laura: Ich bin wieder zurückgezogen, weil es meine Heimatstadt ist und Talking Hands ja auch mit meiner Schwester zu tun hat. Die erste Kita, bei der wir die Daumenkinos für das Uni-Projekt getestet haben, ist auch in Frankfurt.

 

Worum geht es denn genau bei Talking Hands?

Die Daumenkinos von Talking Hands.

Die bunten Daumenkinos von Talking Hands. (Foto: Talking Hands)

Laura: Bei Kindern mit Down-Syndrom ist es oft so, dass sie später sprechen lernen oder auch gar nicht. Da ist die Gebärdensprache dann sehr hilfreich, vor allem bei kleinen Kindern, denn so können sie ihre Grundbedürfnisse ausdrücken. Aber um diese visuelle Sprache zu lernen, gab es noch kein wirklich überzeugendes Spiel oder Hilfsmittel. Auf den Karteikarten beispielsweise sind dann nur Strichmännchen mit Pfeilen. Eine wirklich kindergerechte Darstellung ist das nicht. Daher kam mir die Idee zu den Damenkinos als Lernhilfsmittel, denn sie sind das einzige Medium, das eine Bewegung zeigt ohne dass dafür ein Bildschirm notwendig ist. Mir war wichtig, dass sie bunt sind und Spaß machen. Denn so haben alle Kinder Lust, die Gebärdensprache zu lernen, auch wenn sie eigentlich nicht darauf angewiesen sind. So findet Austausch statt.

 

Bisher wurden die Hilfsmittel also nicht inklusiv gestaltet?

Maria: Sie wurden ausschließlich für die Kinder mit Behinderung entwickelt und man hat sich nicht überlegt, wie alle Kinder – auch ohne eine Behinderung – Spaß daran haben. Wir gestalten daher Daumenkinos, damit Kinder gemeinsam Gebärdensprache erlernen. Diesen Unterschied sollten sich alle Spiele- und Bücherhersteller vor Augen führen. Das ist die Grundlage der Inklusion.

 

Wie kam es dazu, dass Ihr aus der Abschlussarbeit ein Unternehmen gegründet habt?

Laura: Für die Präsentation der Arbeit wollte ich einen kleinen Film drehen, in dem man sieht, wie Kinder die Daumenkinos anwenden. Das habe ich mit einer integrativen Kita in Frankfurt gemacht. Die haben das so gut aufgenommen und direkt verstanden, dass es nahe lag, das Projekt weiter zu verfolgen. Von den Kindergärtnerinnen habe ich auch gleich Tipps bekommen zum Beispiel zur Größe oder wie sie das im Alltag anwenden würden. Und es gab, während ich dann in Berlin war, so häufig Anfragen, ob ich das Set aus dem Abschlussprojekt nachdrucken kann, dass es einen Versuch wert war.

Maria: Als Laura mich gefragt hat, ob wir damit gemeinsam gründen wollen, habe ich direkt Ja gesagt. Es ist so ein tolles Produkt, mit dem man Menschenleben positiv beeinflussen kann und etwas bewirken kann in der Welt. Das ist ein Job, von dem man eigentlich nur träumen kann. Das war eine sehr einfache Entscheidung.

 

Die Finanzierung hat Euch also auch nicht abgeschreckt?

Laura: Wir wussten gar nicht, was das alles kostet. Wir dachten nur, es braucht eine Firma und dann können wir verkaufen.

Maria: Ich glaube der Grund, warum wir das überhaupt gemacht haben, liegt darin, dass wir beide mit einer bestimmten Naivität daran gegangen sind. Wir haben vor der Gründung keinen Businessplan erstellt. Unsere Mission war und ist es noch, das Bildungssystem integrativer zu gestalten. Uns ging es nicht um irgendwelche Zielgrößen und Umsatzzahlen. Bei uns hat das auch so gut geklappt und in Sachen BWL hatten wir Unterstützung von Freunden, Familie und Mentoren.

 

Wie viele Daumenkinos gibt es überhaupt und wie viele sollen es werden?

Kinder, die die Daumenkinos benutzen.

Die Größe der Daumenkinos wurde nach dem ersten Entwurf kindergerecht angepasst. (Foto: Talking Hands)

Laura: Ein Daumenkino stellt ein Wort dar und davon gibt es inzwischen 100 verschiedene Wörter als Grundwortschatz. Die habe ich monatelang gezeichnet, ganz am Anfang sogar noch auf Papier.

Maria: Es melden sich aber regelmäßig Logopädie-Praxen und Kitas bei uns mit dem Wunsch nach weiteren Wörtern, vor kurzem wurde unter anderem das Wort Zaubern angefragt. Für die Erweiterung der Daumenkinos kriegen wir also guten Input von unseren Kunden. Die deutsche Gebärdensprache hat circa 20.000 Wörter. Das können wir nicht alles abbilden, daher helfen die Präferenzen bei der Entscheidung, was abgebildet wird und was nicht.

Laura: Unser Limit liegt bei 300 Gebärden, denn eine Kita muss die kleinen Bücher ja auch irgendwo unterbringen.

 

Ist Eure Produktentwicklung dann abgeschlossen?

Maria: Nein, wir planen derzeit eine App für ältere Kinder und Erwachsene als Erweiterung. Da könnte man auch viel mehr Wörter entwickeln. Wir haben uns viel Feedback dazu eingeholt. Interesse besteht, aber natürlich muss die App genauso viel Spaß machen wie Daumenkinos. Fremdsprachen-Apps gibt es ja viele, aber für die Gebärdensprache fehlt das noch. Dafür haben wir jetzt Jakob als CTO fest mit reingeholt, der bereits seit dem vergangenen Jahr nebenbei daran gebastelt hat.

 

Wie habt Ihr Euch zu Anfang in der Gründerszene Frankfurts zurecht gefunden?

Maria: Gut, denn wir haben von Anfang an bei Wettbewerben teilgenommen und konnten so auch netzwerken. Vor knapp einem Jahr haben wir uns auch einen Mentor an Bord geholt: Dennis Schmoltzi von Emma Matratzen. Auch über LinkedIn kann man das Gründernetzwerk gut kennenlernen. Viele Kontakte kamen auch über die ganzen Presseberichte über uns zustande.

 

Ihr habt gesagt, dass Ihr für die Presseberichte selbst gar nicht viel tun musstet. Woran liegt das?

Maria: Zum einen gibt es nicht so viele Gründerinnen in Deutschland. Zum anderen berichten Medien gerne über soziale Start-ups. Dass Inklusion und die Chancengleichheit von Kindern ein wahnsinnig wichtiges Thema ist, wurde erkannt. Wir sind sehr froh, dass wir mit unserem Unternehmen darauf Aufmerksamkeit lenken konnten. Die Thematik war der Knackpunkt für die vielen Presseanfragen und die Chancen haben wir ergriffen. Selbst kontaktiert haben wir aber auch, zum Beispiel den Business Insider wegen des Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März. Aufgrund dieses Artikels wurden Viele auf uns aufmerksam.

 

Was passiert neben der App-Entwicklung bei Talking Hands in nächster Zeit?

Maria: Wir werden bald unsere Seed-Finanzierungsrunde abschließen und wollen etwa 200.000 Euro einsammeln. Bisher zahlen wir uns nur ein Mini-Gehalt aus, wollen aber vor allem auch Jakob ordentlich bezahlen.

 

Was wünscht Ihr Euch von der neuen Regierung?

Maria: Kitas verbinden das Thema Inklusion mit ganz viel Arbeit. Das hören wir zumindest sehr oft, wenn wir sie kontaktieren. Da gibt es noch Vorurteile. Pädagogen und Pädagoginnen fürchten sich teilweise vor Inklusion, weil sie zu wenig Budget haben, um sich die Unterrichtsmaterialien zu kaufen. Das würde die Inklusionsarbeit aber erleichtern. Deutschland hat sich mit der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen. Davon sind wir weit entfernt. Damit muss man bei den Kitas anfangen.

So wird die Bewegung der Gebärde Ball mit dem Daumenkino dargestellt.

So wird die Bewegung der Gebärde Ball mit dem Daumenkino dargestellt. (Quelle: Talking Hands)

 

Das Interview führte Gesine Wagner.

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