Was macht für Dich ein Scale-up aus?
Tim: Das ist die Phase, in der der berühmte Product Market Fit belegt ist. Das Unternehmen hat sein Produkt und seinen Markt also gefunden. Dann kommt typischerweise die Wachstumsphase, die beschleunigt wird durch externe Investitionen. Es wird nicht mehr experimentiert, sondern umgesetzt. Mit Creditshelf sind wir gerade selbst in dieser Phase.
Wann kam Creditshelf in diese Phase?
Tim: Das Kapital, das wir damals beim Börsengang eingesammelt haben im Jahr 2018, hat die Skalierung angezündet. Zu dieser Zeit hatten wir das dritte Jahr in Folge Umsätze generiert.
Wann ist man eigentlich ein Scale-up?
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fasst all jene Unternehmen darunter, die in den vergangenen drei Jahren ein durchschnittliches jährliches Umsatzwachstum von mindestens 20 Prozent und zu Beginn dieses Zeitraums mindestens zehn Mitarbeitende hatten.
Wer war anfangs für das Personalwesen zuständig?
Tim: Ganz am Anfang macht ja eigentlich sowieso jeder alles. Als wir den Aufgabenbereich HR dann personell zuweisen wollten, habe ich es gemacht. Wir haben erkannt, dass es nicht mehr reicht sich nur im Büro zu sehen, damit man alles mitbekommt. Es brauchte mit wachsender Mitarbeiterzahl Organisationsstrukturen und Prozesse, denn die Kommunikationswege wurden auch bei einem Start-up wie unserem länger.
Welche Herausforderung gab es zu dieser Zeit bezüglich HR?
Tim: Wir hatten da etwa 20 Mitarbeitende und haben gemerkt, dass die Kultur, die uns immer wichtig war, an den Rändern unscharf wurde. Daher haben wir dann das erste Mal drei Monate lang niemanden eingestellt und uns die Teams genauer angeschaut. Es war wichtig, sozusagen das Ohr auf die Schienen zu legen und nach der Stimmung in der Belegschaft zu hören. Zusätzlich hat jemand anderes die HR-Aufgaben als interne Besetzung übernommen. Durch die Lohnabrechnungen lag es nah, dass es jemand macht, der auch Finance verantwortet.
Mit Natali Bily kam dann für HR jemand Externes mit Konzernerfahrung dazu. Welche Überlegung steckte dahinter?
Tim: Es war eine bewusste Entscheidung, jemanden einzustellen, der oder die sich mit komplexeren Prozessen auskennt und Know-How aus größeren Unternehmen mitbringt. Wir legen aber allem voran großen Wert darauf, dass neue Mitarbeitende in die Organisation passen und würden nie Know-How einkaufen, wenn die Person kulturell nicht die Richtige ist.
Natali, wie kann HR für den Cultural Fit der Angestellten sorgen?
Natali: Zunächst muss man sagen, dass HR nicht allein verantwortlich für die Kultur des Unternehmens ist. Das ist eine Zusammenarbeit aller Mitarbeitenden und deren Mitwirkung. HR kann aber die passenden Personen rekrutieren und so den Cultural Fit beeinflussen. Es werden im Bewerbungsprozess bei uns eher viele, dafür kürzere Gespräche geführt und mit ganz unterschiedlichen Mitarbeitenden aus dem Unternehmen. Wenn jemand für die Finance-Abteilung eingestellt wird, dann hat vorher unter anderem einer oder eine aus dem Marketing mit dem oder der Bewerberin gesprochen. Das führt übrigens auch dazu, dass unser Team sehr divers ist, denn mehrere Personen sind an der Einstellung einer sich bewerbenden Person beteiligt.
Start-up-Spirit in allen Unternehmensphasen
Wachsen die ersten Mitarbeitenden mit dem Unternehmen weiterhin mit?
Tim: Das Unternehmen verändert sich in den ersten Jahren so schnell, dass es verschiedene Arten von Mitarbeitergenerationen gibt, die auf natürliche Art und Weise irgendwann wieder rausgehen. Es gibt Leute, die am Anfang das geordnete Chaos lieben, also die Phase bis 20 Mitarbeitende ohne Strukturen und spät abends wird Pizza ins Büro bestellt. Irgendwann wird es denjenigen zu strukturell, zu „corporate“ und dann gehen sie. Wenn es dann ins Scaling geht und das Experimentieren zu einem Teil aufhört, geschieht das auch noch einmal. Den Start-up-Spirit an sich haben wir uns aber erhalten. Das ist leichter gesagt als getan.
Und welche Unternehmensphase magst Du besonders gern?
Tim: Alle Phasen haben wir ja zum Glück noch nicht durch. Ich kam aus vielen Jahren Industrie und Bankengeschäft, daher war die Start-up-Welt anfangs schon ungewohnt. Wirklich jedes Problem, das auftaucht, ist mein Problem und ich kann es nicht an andere Abteilungen abgeben, wie in größeren Unternehmen. Aber genau das wollte ich auch. Jede Phase hat ihre eigenen Herausforderungen. Die gefühlte absolute Freiheit war am Anfang natürlich viel größer als heute und es gab weniger öffentlichen Druck. Dafür gibt es heute nicht mehr so ein großes Risiko. Ich schwanke da immer hin und her: Es gibt Tage, an denen ich denke „nie wieder von vorne“ und andere, an denen man wieder Lust auf eine Gründung hätte. Aber natürlich stellt sich die Frage aktuell nicht, da ich noch viel mit Creditshelf vorhabe.
Welchen Fehler können Start-ups hinsichtlich HR machen?
Tim: Natürlich könnte es passieren, dass die Personalabteilung viel zu spät aufgebaut wird und dass HR im Allgemeinen als nicht so wichtig betrachtet wird. Meiner Beobachtung nach haben inzwischen aber die meisten Gründer und Gründerinnen verstanden, dass alles rund um das Thema Mitarbeitende von großer Bedeutung ist.
Manche Unternehmen denken HR nach dem Recruitingprozess nicht wirklich weiter. Beobachtet Ihr das auch?
Natali: Das sehen wir eher auf Seiten der Bewerbenden, denn sie sagen, sie interessieren sich für HR und meinen damit eigentlich nur Recruiting. Als ich jetzt Verstärkung für mein Team gesucht habe, merkte ich das wieder. Nur etwa eine Person von zehn interessierte sich auch für das Thema Payroll oder Vertragsmanagement. Natürlich muss man HR aber anhand des ganzen „Lebenszyklus“ einer oder eines Mitarbeiters denken, also im Laufe der Betriebszugehörigkeit auch das Thema Personalentwicklung, Betriebliche Altersvorsorge oder beim Austritt das Offboarding.
Die Interviewten:
Natali Bily arbeitet seit Juli 2020 bei Creditshelf, war vorher bei dem SDax-Konzern Bilfinger und ist zudem Juristin.
Tim Thabe ist Co-Gründer und CEO von Creditshelf, hat zuvor zum Thema Kreditrisiko geforscht und in England sowie der Schweiz bei Banken gearbeitet.
Das Interview führte Gesine Wagner. Du willst mehr erfahren? Zur Website von Creditshelf
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